Jul 10, 2016

Felix im Chemie-Unterricht

Ich befinde mich im Chemie-Unterricht. Letztes Jahr hat es noch Spaß gemacht, dieses Jahr in einem neuen Raum mit einem neuen Lehrer und einem neuen Kurs ist es nicht mehr so witzig, geschweige denn interessant.
Die Sitzordnung sieht wie folgt aus: Vorne sitzen die, die schon alles können und es dem Lehrer hier und da mal unter die Nase reiben und natürliche ihre Kumpanen, die von ihnen abschreiben und beschützt werden. In der Mitte sitzen die Mädels, die sich vor der ersten Stunde nicht um den Vordersten Platz an der Tür gestritten haben, um noch in die erste Reihe zu kommen. Sie wollen dem Unterricht eigentlich nur aufmerksam folgen. In der letzten Reihe (Ja, im 12. Jahrgang bestand der Chemie-Grundkurs nur aus drei Reihen. 90% unseres Kurses mussten den Kurs belegen, um einfach nur die Stunden zu füllen.) saßen die Zuspätkommer und die selbst ernannten „Coolen“ und der ein oder andere, der einfach nicht auffallen will, aber eigentlich ganz schlau ist.
Wie üblich beginnt der Unterricht mit dem Abhacken derer, die da sind und wie immer fehlt die Hälfte der letzten Reihe. Dann dreht sich Herr Meyer zur Tafel um, dreht sich wieder nach vorne und guckt in das aufgeschlagene Buch auf seinem Tisch und fragt in die Runde ohne Hochzugucken: „Könnte die (Tafel) mal jemand sauber machen, bitte?“ Sofort springt Felix auf, die Mädels in der Zweiten Reihe gucken sich genervt an und eine verdreht die Augen. Der erste Zettel wird geschrieben: Der Arschkriecher vom Dienst. Eine meiner Sitznachbarin bekommt einen Lachanfall, ich lasse den Zettel schnell verschwinden, denn in diesem Moment guckt Herr Meyer von seinen Unterlagen hoch. Nach einer ausgedachten Geschichte, dass ein lustiger Spruch mit Bleistift auf den Tisch gekrickelt wurde, verlässt Herr Meyer den Raum, um im Nebenzimmer die notwendigen Chemikalien für die heutige Stunde nach vorne zu holen. (Es war immerhin nicht möglich das vor der Stunde zu tun oder es gar zu lassen, denn wie sich im Verlauf der Stunde herausstellte brauchten wir nichts davon.)
Die Tafel sauber und Herr Meyer wieder bei uns mit den (un)nötigen Chemikalien, meldet sich meine Sitznachbarin. Herr Meyer nimmt sie dran. „Ich wollte mit den Hausaufgaben anfangen.“ Aus der letzten Reihe hört man Stöhnen. Die Ersten fangen an aufgeregt in ihrer Tasche zu kramen, damit sie so tun können, als ob sie wirklich ernsthaft suchen, um danach zu sagen „Tut mir leid, ich dachte ich hätte sie eingepackt. Stattdessen habe ich meine Geschichtsmappe eingesteckt.“ Genau das passiert auch dem Kumpanen von Felix und zum Beweis wedelt er mit einer Mappe vor Herrn Meyers Gesicht herum. Dummerweise hat er nur vergessen einmal drauf zu gucken. Der Mappendeckel liest: Chemie. Schade aber auch. Und der zweite Zettel wird geschrieben: Dummheit gehört verboten.
Herr Meyer macht sich über diesen Fauxpas genauso lustig, wie wir anderen auch und fragt wer denn noch aus Versehen seine „Chemie-Mappe“ eingesteckt hat. Lars meldet sich. Herr Meyer verdreht die Augen und fragt: „Schon wieder?“ Darauf antwortet Lars: „Herr Meyer kommen Sie. Es ist erst der erste Freitag dieser Woche!“
Wir müssen alle lachen.
Dann wendet sich Herr Meyer wieder Jessica zu, die ursprünglich gefragt hatte, ob sie mit dem Vergleichen der Hausaufgaben anfangen dürfte, und nickt ihr zu. Jessica fängt an und nach 5min, die den Leuten, die die Hausaufgaben ebenfalls erledigt haben, angemessen vorkommen, ruft Lars: „Kannst du ab: ‚Aufgabe 1a)’ nochmal anfangen und diesmal bitte etwas langsamer?“. Wir drehen uns um und sehen, wie er schreib-bereit den Stift gezückt hat und Anstrengung mimt. Beim wieder nach vorne Drehen bemerke ich, dass es mehreren Schülern so geht. Aber nicht nur ich bemerke es, sondern auch Herr Meyer, der nun fragt: „Wer hatte denn Schwierigkeiten mit der Hausaufgabe?“ Etwa die Hälfte unseres Kurses meldet sich. „Woran hackt es denn?“ Alle nehmen die Hände runter (sehr hilfreich!!!*).
Da spricht Felix, ohne sich zu melden oder anzukündigen, dass er sprechen will. Das ärgert Leonie gewaltig, denn sie hatte gerade ihren Arm gehoben, um ihre Probleme darzulegen. Nun lässt sie genervt den Arm sinken, dreht sich zu mir und macht mit ihrem Kopf einen Ruck in Richtung Felix und verdreht die Augen. Dieser zieht mit der einen Hand den Reißverschluss seines Rucksacks auf, während er mit der anderen Hand sein Smartphone in seinem Schoß verschwinden lässt. Dann zieht er mit beiden Händen einen Stapel Zettel aus seinem Ranzen heraus und legt ihn vor sich auf seinen Tisch. Herr Meyer staunt nicht schlecht. Felix versucht zu erklären, wo er Probleme hatte und wo/wie er (im Internet) die Lösung gefunden hat. (Währenddessen nimmt er unter dem Tisch wieder sein Handy in die Hand.) Dann zeigt Felix auf ein paar Stellen auf den Zetteln, die wir alle nicht sehen können und daher sichtlich genervt in der Gegend rumstarren. Als Felix auf eine Stelle in unserer Hausaufgabe hinweist und fragt, ob es nicht schlauer wäre „uchabdjada“ (Tut mir leid, aber weder ich noch eine meiner Sitznachbarinnen hat ihn verstanden.) zu machen und zeigt dabei auf eine andere Stelle auf den Zetteln. Daraufhin schnappt Herr Meyer sich sein Buch und beugt sie über den Stapel von Zetteln, zeigt mit dem Zeigefinger hier hin und dorthin und schlägt die Seiten im Buch hin und her. Währenddessen googelt Felix schnell die Antwort im Internet. Als er fertig ist, sieht er, dass Herr Meyer noch immer vertieft in seine ausgedruckten Wikipedia-Seiten ist und schießt unbemerkt ein Foto von Jessica, bearbeitet es irgendwie und schickt es ihr per Snapchat und sie erschrickt sich. Jessica hatte vergessen, dass das Handy auf Vibration geschaltet ist und es sich zwischen die Beine geklemmt. Während sich der Rest unserer Reihe über diesen Vorfall lustig macht, setzt sich Herr Meyer – der offensichtlich nichts von den Ereignissen mitbekommen hat – wieder gerade hin. Er runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf, als er sagt „Da hab ich momentan leider keine Antwort drauf, Felix.“ (Ich habe das Gefühl, dass er genauso wenig verstanden hat, was Felix meinte wie wir.) Felix macht die Denkerpose – wir unterdrücken ein Lachen – mit der einen Hand am Kinn und der anderen unter dem Tisch noch immer das Handy in der Hand. Dann fragt er erneut „Und wie ist es wenn man die eine Hälfte der Gleichung so löst und die andere mit der Hilfe von uchabdjada“ (Dieses Mal sehe ich ganz genau Unverständnis über Herrn Meyers Gesicht huschen.) „Wie genau meinst du das?“, fragt Herr Meyer. (Na wenigstens gibt er es zu.) Felix ist schon halb am Aufstehen, als er fragt: „Darf ich an die Tafel?“ Herr Meyer – sichtlich erleichtert, wie es mir erscheint – sagt: „Deine Bühne, Felix. Wer’s sauber macht, darf’s auch dreckig machen!“ Ein verstörter Blick geht durch meine Reihe. Felix steht auf und lässt dabei galant sein Handy in die hintere Hosentasche gleiten, damit Herr Meyer es nicht sieht. „Darf ich mir deine Unterlagen zu Gemüte führen?“, fragt Herr Meyer und hat dabei die ersten Zettel schon auf seinem Schoß, als er sich auf Felix’ Tisch setzt. „Ja!“, antwortet Felix und fügt hinzu „Das kann eine Weile dauern das ist recht kompliziert.“ Doch Herr Meyer ist vertieft in die Wikipedia-Seiten (Zumindest haben die Mädels und ich diese Seiten so getauft und sind uns eigentlich auch im Nachhinein sehr sicher, dass es sich dabei wirklich um einen Wikipedia-Artikel handelte) und nickt nur abwesend.
Felix grinst Herrn Meyers Rücken an, dann uns und holt sein Handy raus und schreibt etwas vom Display ab. Ein schlauer Junge aus der ersten Reihe (ist wirklich schlau, Klausuren Durchschnitt von 13,5 Pkt.) schlägt sich daraufhin die Hand an die Stirn, lächelt und schüttelt ungläubig den Kopf. Felix hat sich bei dem Geräusch Hand-an-Kopf umgedreht, findet den Augenkontakt mit dem Verantwortlichen und zeigt ihm den Display seines Handys. Dann zeigt er auf Herrn Meyer, zuckt die Schultern und schüttelt unverständlich den Kopf. Dann vergleicht Michael seine Lösungen mit der Internetseite und macht sich über den Lehrer lustig. (Wir anderen unterhalten uns, anscheinend stört es niemanden, wenn wir reden.) Nach gefühlten 10min hat Felix die Tafeln (wir haben zwei) voll geschrieben und geht zum Waschbecken und wäscht sich die Hände, dann setzt er sich wieder auf seinen Platz. Herr Meyer, der noch immer auf Felix’ Tisch sitzt wendet sich Richtung Tafel und studiert sie. (Wir anderen haben nach den erst zwei Formeln aufgegeben, zu versuchen das Geschriebene zu verstehen!!!**) Dann steht Herr Meyer auf und geht zur Tafel, er zeigt auf eine Formel, die ganz am Ende steht und wendet sich zu Felix und fragt: „Diese ergibt sich also aus (er zeigt auf eine weitere Formel), die zum Quadrat genommen wurde und dann mit (er zeigt auf eine dritte Formel) multipliziert wurde. Dann hat man die Variablen gekürzt, richtig?“ Felix nickt und hält sich eine Hand vor den Mund, er hat soeben in ein Brötchen rein gebissen. Dann legt er mit der anderen Hand das Handy wieder in seinen Schoß und deutet auf ein paar Kreise, die er an die Tafel gemalt hat gemeinsam mit zwei Pfeilen. Dann erklärt er hinter vorgehaltener Hand einen Sachverhalt – den, wie ich aus den Gesichtsausdrücken um mich herum schließen kann, keiner so recht versteht – und Herr Meyer nickt einfach nur und stimmt ihm zu. Ich schreibe einen Zettel: Wer glaubt, noch dass Herr Meyer nichts von Felix’ Worten versteht? Ich male einen Strich dazu, um die Stimmen zu zählen und gebe ihn weiter. Als er zurückkommt ist mein Strich nicht mehr allein. Leonie hat noch dazu geschrieben: Wie viele Duden hat Felix eurer Meinung nach geschluckt? Ich verbessere das „geschluckt“ in „verschluckt“ und schreibe 15 (einen für jedes seiner Fächer).
Noch immer sind Herr Meyer und Felix im Gespräch und ich kann mein Lachen kaum noch halten, denn es sieht so lächerlich aus wie Herr Meyer einfach nur da steht die Tafel anvisiert und nickt, wenn Felix etwas sagt. Dann läutet es, aber auch das scheint Herrn Meyer nicht aus seiner Trance zu wecken. Lars, der schon aufgestanden ist und alles eingepackt hat sagt: „Wir haben keine Hausaufgaben auf. Bis zum nächsten Mal.“ (dabei versucht er wie Herr Meyer zu klingen). Weil Herr Meyer den Großteil der Stunde mit Nicken und Ja-sagen verbracht hat, macht er auch hier nichts anderes. Wir freuen uns und bevor er sich versieht, sind wir alle aufgesprungen und haben unsere Sachen gepackt.

*Stellen, die mit einem * versehen sind, sind sarkastisch/ironisch gemeint.***
** Stellen, die mit zwei ** versehen sind, sind nicht sarkastisch/ironisch gemeint.***
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