Sep 5, 2016

Tag 9: "321 claps"

Heute ist mein erster Schultag. Ich stehe um 06:30 auf und frühstücke Chapti. Es ist eine Art Pfannkuchen, den ich mir gestern Nachmittag besorgt habe. Mein Vorgänger hat mir gesagt, dass ich ein DalaDala Richtung Sido nehmen soll und am YMCA aussteigen muss. Dort wollen wir uns dann treffen. Beim YMCA angekommen, warte ich auf ihn, zusammen fahren wir dann mit einem DalaDala nach Kibiroloni und steigen an der Haltestelle Foresti aus. Es ist auch hier in Moshi keine Haltestelle, sondern einfach ein Punkt, der Foresti genannt wurde und wo Leute häufiger ein und aussteigen, als an anderen Stellen. Ich bin froh, dass er dabei ist und weiß, wo wir aussteigen müssen. Denn der Conducter steckt seinen Oberkörper durch das Fenster und wenn er dann die Haltestelle ansagt, frage ich mich ernsthaft wie irgendjemand ihn verstehen soll. Ich bin ziemlich froh aus dem DalaDala aussteigen zu können, da heute die Marktfrauen mit ihren Waren darin waren. Das wäre nicht so das Problem, wenn die Waren nicht einfach doppelt so groß sind wie ich und dreimal so viel wiegen.
Jetzt steht uns noch ein Fußmarsch zur Schule bevor. Die Erde hier ist nicht braun, sondern rot und jedes Mal wenn ich meinen Fuß aufsetze, steigt eine rote Staubwolke auf und setzt sich auf meinen Schuhen ab. Als ich an der Schule ankomme und meine Schuhe betrachte, bereue ich es, kein Vorher-Foto gemacht zu haben, denn der Unterschied zu jetzt wäre echt witzig. Da meine Schuhe unter meinem Knöchel aufhören und meine Hose nicht mit dem Schuh abschließt gucken meine Socken knapp einen Zentimeter heraus und der Rand ist nicht mehr weiß, sondern rot.
Auf dem Schulhof stehen die Schüler bereits aufgereiht. Es sieht alles sehr geordnet aus und die Schüler haben alle ihre Schuluniform an, was sie wahnsinnig niedlich aussehen lässt. Besonders die Jungs der Zweiten Klasse sehen putzig aus. Sie gehen mir vielleicht bis zum Oberschenkel und tragen über ihrem gebügelten Hemd noch eine kleine Krawatte. Die Schüler singen die Nationalhymne und ihr Motivationslied. Der Rhythmus wird von einer Gruppe von Schülern auf Trommeln geschlagen. Während die Kinder singen, lerne ich den Lehrer kennen, den ich von nun an begleiten werde: JM. Er ist ein sehr witziger, etwas älterer Lehrer und begrüßt uns herzlich. Beim Händeschütteln wird umgegriffen. Nicht nur die Hand wird umfasst, wie bei uns in Deutschland, sondern auch der Daumen, dann wieder die Hand und wieder der Daumen, bis die Begrüßung vorbei ist. Die Begrüßung beinhaltet: Hallo, wie geht es dir? Mir geht es gut, und wie geht es dir? Gut, danke! (Und das bei Leuten, die sich kennen. Aber ich kenne ihn ja noch nicht, also kommt zur Begrüßung noch eine Vorstellung meiner und seinerseits dazu und währenddessen, greifen wir andauernd um.) Da momentan fasst alle Schüler hier versammelt stehen, wird die Gelegenheit genutzt, dass ich mich den Schülern einmal kurz vorstelle. Ich werde mit großen Augen beäugt. Eine weiße Frau haben sie hier nicht so oft gesehen, und schon gar nicht die ganz jungen Schüler aus der Vorschule sind diesen Anblick gewöhnt. Aber es ist ein niedliches Staunen und kein merkwürdiges Anstarren. JM führt mich in das Lehrerzimmer, wo ich die anderen Lehrer auch einmal kennenlerne, und zeigt mir wo ich meine Sachen abstellen kann. Seine erste Bitte ist, dass ich ihm beibringe die Computer und den Drucker zu benutzen. Ich verspreche, mein Bestes zu geben und er ist sehr erfreut. An seinem Platz stellt er mir seine Pläne vor, was er wo wann zu unterrichten plant und erklärt mir, dass die Schule Besuch von Leuten bekommt, die das kontrollieren werden.
Dann ist es auch schon Zeit für die erste Stunde. Wir gehen in die erste Klasse, wo JM ein Lied mit ihnen singt, wozu sie auch tanzen. Dann gehen wir wieder heraus, ich bin sehr verwundert, worauf er sagt, dass er sie mir nur kurz zeigen wollte. Wir gehen in die Vierte Klasse, wo JM meint, unterrichten zu müssen. Wir betrachten seinen Plan und versuchen ihm zu erklären, dass das erst in der nächsten Stunde ist, aber er bleibt beharrlich. Er bietet mir einen Platz in der ersten Reihe an und ich setze mich. Jedoch habe ich ein schlechtes Gewissen, die Kinder hinter mir können doch gar nichts sehen.
JM sagt, dass er von jedem das Heft und den Stift sehen möchte. Den Kindern, die ihre Sachen vergessen haben, oder noch die Sachen von einem anderen Fach auf dem Tisch haben, kneift JM in die Wange. Ich gucke weg, sowas will ich wirklich nicht beobachten. Als er einmal durch die Klasse gegangen ist, fragt er nach der Definition von Landwirtschaft. Ein paar Händen gehen in die Höhe, als er einen Schüler drannimmt, steht dieser auf und spricht. Ich sitze vielleicht einen Meter entfernt und verstehe nichts. Erstens reden die Schüler wahnsinnig leise und zweitens kommt ein Geräuschpegel von außen herein. Die Fenster haben hier keine Glasscheiben drinnen, sondern bestehen genauso wie die Türen aus Gitterstäben. JM steht direkt neben ihm und wiederholt für die Klasse, was gesagt wurde. Ein anderer Schüler soll die Definition wiederholen. Wieder gehen nur ein paar Hände in die Höhe und ich frage mich, was jetzt los ist, weil mehr als die paar Schüler gerade aufgepasst haben müssen. JM geht durch die Bankreihen und zieht die Schüler aus der Bank, die damit beschäftigt waren etwas aufzuschreiben oder mit ihrem Nachbarn geredet haben. Er fragt sie, ob sie das gerade gesagte wiederholen können. Nichts passiert, er holt mit der Hand aus und die Schüler zucken zusammen. Er schlägt nicht zu. Sie müssen stehen bleiben, bis einer der es weiß gesagt hat und sie es wiederholen können. Während er so durch die Klasse geht, gibt er hier und da einem Schüler einen Klaps auf den Hinterkopf, wie ihn manche aus der „Navy CIS“-Serie von Gibs kennen. Ich fühle mich dabei nicht ganz wohl, aber es ist mir viel lieber, als wenn JM Ohrfeigen nutzen würde. Dann kommt ein anderer Lehrer in die Klasse und sagt, dass er hier unterrichten würde. Sie diskutieren kurz und dann gehen wir und überlassen dem hinzugekommenen Lehrer seine Stunde.
Ich treffe nun die Schulleiter, mit denen ich von Deutschland aus schon einen E-Mail-Kontakt hatte und werde herzlich begrüßt. MeinVorgänger führt mich herum und zeigt mir, die neuen Gebäude die gebaut werden und den Pausenhof. Als unser Rundgang beendet ist, helfen wir JM seine Hefte und Pläne zu kopieren, da er nicht mit dem Scanner klarkommt. Wir müssen ziemlich lange Herumprobieren, bis wir verstehen, wie wir das Papier wieder in die Schublade legen können, damit auch die andere Seite bedruckt wird. Das Problem dabei ist die Bindung. Nach einiger Fummelei haben wir es verstanden und als wir mit dem dritten Heft fertig sind, sind auch zwei Schulstunden um. Die Schulglocke wird geläutet. Doch eine Glock ist das nicht. Es handelt sich um eine Art Metalltopf auf den mit einem Metallstab geklopft wird. Während der Pause soll ich JM’s Aufgabe im Schulbuch lesen. Mir stellen sich die Nackenhaare auf, während ich die Fehler lese und die Mischung von altem und neuem Englisch.
In der Klasse angekommen schickt mich JM nach vorne und ich fühle mich leicht ins kalte Wasser geworfen, da er selbst hinten bleibt. Aber ich denke an mein Praktikum zurück und weiß ungefähr was ich wie machen muss. Wenn ich eine Frage stelle und sich keiner meldet, greift JM ein und fragt energisch wer „Madam“ die Antwort geben kann. Ich habe das Gefühl, dass auch hier viel Druck herrscht, das Richtige sagen zu müssen. Ich sage, dass ich nur nach Ideen suche und JM wirkt verwundert, aber sehr zufrieden mit dieser Neuigkeit und es melden sich ein paar. Nach der Stunde zeigt mir JM wie ich die Aufgaben richtig abhake. Ich soll einen Rotstift nehmen und jeden Satz einmal abhaken. Danach soll ich „Good work“, das Datum und meine Signatur in das Heft hineinschreiben. Sieht für mich nach sehr viel Arbeit aus, aber das System gefällt mir trotzdem. So weiß der Schüler wenigstens, dass es einen Sinn macht mitzuschreiben und mitzumachen. In Deutschland machen viele die Hausaufgaben und keiner kontrolliert und man fragt sich, wieso man sie dann gemacht hat. Immerhin kommen die, die sie nicht gemacht haben genauso durch, wie die, die sie gemacht haben.
Wir gehen in die Klasse von meinem Vorgänger und während er unterrichtet, soll ich die Aufgaben abhaken. Die Kinder, die fertig sind und meine Unterschrift noch brauchen schreien „teacher, teacher“. Während ich durch die Klasse gehe, verrenken sich die Kinder um meine Uhr zu betrachten. JM zeigt mir die Seiten, die ich bitte für den nächsten Tag vorbereiten soll und wiederholt immer wieder, wie sehr er meine Einfälle willkommen heißt.
Jetzt gibt es Mittagessen. Da es der letzte Tag von meinem Vorgänger ist, gibt es ein extra Abschiedsessen und ein Geschenk für ihn. Ich werde willkommen geheißen, genau wie der andere neue Lehrer, der seine Ausbildung erst kürzlich abgeschlossen hat. Wir essen mit den Fingern und als mich ein Lehrer sieht, bittet er mir schnell einen Löffel an. Als ich aber sage, dass ich so sehr zufrieden bin, guckt er mich nur verwundert an und ich muss grinsen. Nach dem Essen helfe ich JM die Hefte zu korrigieren, denn die Kinder haben Hausaufgaben, die sie in der Schule machen und dann die Hefte ins Lehrerzimmer bringen. Meine Güte sind das viele. Es ist die größte Klasse, die sie hier haben: 6 Klasse. Wo ich kurz zuvor zum ersten Mal alleine vorne stand. In der Klasse sind sage und schreibe 43 Schüler.
Um 15:30 machen wir uns auf den Heimweg. Die Kinder schreien um uns herum: Goodbye, teacher und See you tomorrow, teacher. Die Kinder sind wirklich super niedlich. Als ich wieder in meinem Zimmer bin, stelle ich fest, dass wir einen Stromausfall haben. Ich wasche meine Hände und als ich sie gerade abtrockne, klopft es an meiner Tür. Die Haushälterin wollte einmal vorbei gucken, ob es mir gut geht. Wie lieb ist das denn! Ich fühle mich super wohl und es ist wie eine Streicheleinheit für die Seele, wenn ich meinen Tag vor meinem inneren Auge vorbeiziehen lasse.
Ich mache ein Nickerchen und bereite meine Stunden für den nächsten Tag vor. Dann schreibe ich endlich meinen ersten Bericht über meine Zeit in Tansania. Mein Vorgänger schmeißt eine Abschiedsparty und wir haben unseren Spaß. Danach gehe ich unter die Dusche – an das kalte Wasser habe ich mich noch nicht gewöhnt – und gehe ins Bett.

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