Aug 19, 2016

Tag 4: Wie kommt die Kuh dahin?

Das erste Hotel war ein Hotel wie es im Buche steht. Groß und geräumig, edel und mit Minibar, Klimaanlage und Fernseher. Und damit man sich richtig wie in einem Film vorkam: einen Schlüssel in Kartenform. Das zweite Hotel, ist ein Heritage-Hotel, wo früher einmal der Maharadscha gelebt hat. Tolles Gelände, nur die Pfauen sind uns zu laut. Das Zimmer ist irre gemütlich, dennoch sollte man sich nicht zu schwungvoll auf die so schön hergerichteten Möbel setzen, denn eine Steißbeinverstauchung, würde einem den Urlaub trotz guten Wetters und leckeren Essen vermiesen. Doch was uns hier etwas irritiert hat, ist das Zimmerschloss. Denn es gibt einen Riegel, den man zur Seite schiebt, um die Tür zu schließen und dieser wird mit einem Vorhängeschloss verankert. Der dazugehörige Schlüssel sieht so aus, als ob er eigens für den ehemaligen Palast hergestellt wurde. In beiden Hotels haben wir ein schickes Buffet und können uns nach Herzenslust satt essen. (Für die etwas jüngeren ist wichtig zu erwähnen, dass wir hier das Internet kostenlos nutzen können.)
Im Hotel eingerichtet geht unsere Ministadtführung los. Wir besichtigen einen kleinen Tempel und können uns als Touristen nicht satt fotografieren – bei den ersten ist die Speicherkarte voll. Wir bekommen einen kleinen Einblick in das Leben der Inder, während wir so durch die Straßen gehen und sind erstaunt. Die hygienischen Bedingungen sind uns vollkommen fremd, in kaum etwas sehen wir ein System und trotz Armut, sehe ich doch fast in jedem Gesicht Zufriedenheit. (Materieller Wohlstand ist eben nicht gleich bedeutend mit seelischem Wohlstand.)
Der indische Verkehr ist ungewöhnlich – zumindest wenn man ihn nicht kennt. Nicht die Farbe der Ampel gibt an, ob man fährt, sondern die Stelle, an der die Ampel steht. Dabei ist auch nicht die Verkehrsdichte ausschlaggebend – zumindest nicht nach meiner Beobachtung – sondern die Erfahrung, die der Fahrer an dieser Stelle gemacht hat.
Auf vielen breiten Lastwagen steht hinten drauf, dass man Hupen soll. Dies hat uns zunächst gewundert und auch etwas verärgert, denn so wird es wahnsinnig laut auf den Straßen und wenn einem solchen Lastwagen dann auch noch kein Auto, sondern 12 Motorräder folgen, ist das Hupkonzert perfekt und wir taub.
Wir sehen hier ca. 90% Motorräder, der Rest ist ein Lastwagen, Bus oder Auto. Je lauter die Hupe desto kleiner ist das Gefährt, so unser Gefühl. Motorräder haben hier ein paar Vorteile, da man sie überall abstellen kann, wir haben zum Beispiel nur einen einzigen Parkplatz bisher gesehen. Aber auch weil sie etwas wendiger sind als die anderen Fahrzeuge. Jedoch ist das Hupen hier eine Vorwarnung, dass sie überholen wollen. Die Motorräder überholen so ziemlich alle 25sec einen anderen Verkehrsteilnehmer, zwischendurch werden sie selbst nochmal überholt und man fragt sich, inwiefern das gerade sinnvoll war.
Man könnte meinen, dass so ein Motorrad eine ziemlich unglückliche Wahl ist, sobald es hier einmal anfängt zu regnen. In der Regenzeit kommen hier wahnsinnig große Wassermengen herunter, die das Kanalisationssystem lahm legen. Aber die Inder haben fast sichtlich Spaß sich selbst in der größten Pfütze gegenseitig an zu hupen und einen Überholversuch zu starten, der aufgrund der Wassermengen meist scheitert.
Bei diesen Regenfällen hat sich auch geklärt warum sie alle in Flipflops fahren. Wenn wir aus den Fenstern unseres Reisebusses gucken, bewundern wir die Leute, die trotz starker Regenschauer gut gelaunt in ihren Rikschas sitzen. Diese sind ganz besonders interessant bei Regen anzusehen. Denn wenn wir mit dem Reisebus an ihnen vorbeifahren, haben wir als Insassen schon ein schlechtes Gewissen sie mit all dem Wasser der Pfützen zu überschwemmen. Doch die Mitfahrer in den Rikschas nehmen einfach ihre Füße hoch und winken uns weiter fröhlich zu.
Wir sind anscheinend eine kleine Attraktion hier in Indien mit unserer hellen Hautfarbe. Eine Mitreisende wird ständig fotografiert und teilweise verfolgt, bis sie nach einem etwas hartnäckigerem Mann die Geduld verliert und ausrastet. Als wir nach unserer Stadtrundführung an einem Markt anhalten, um uns hier umzusehen, laufen auch mir einige hinterher, aber meist mit etwas Abstand. Ein Einheimischer führt uns einmal um den Markt und wir gucken hier und dort einmal in die verschiedensten Läden herein. Während selbst in der schmalsten Gasse noch Motorräder fahren und wir nicht im Leben auf die Idee gekommen wären, dass diese dann auch noch Gegenverkehr bekommen, verkauft daneben jemand in aller Seelen Ruhe seine Schmuckstücke. Wir gehen in einen Gebäudekomplex in dem sich ebenfalls eine Art Drogerie befindet, wo man im 100er Pack Damenbinden kaufen kann. (Das ist so im Gedächtnis geblieben, weil es einfach absurd fehl am Platz war und diese Verpackungen riesig sind.) Draußen auf dem Marktplatz bewundern wir die kleinen Pferde, die die Karren ziehen und überlegen, wo wir als nächstes hingehen. Als wir uns entscheiden eine Art 8 um den Platz zu gehen, habe ich kaum den ersten Schritt gemacht, als ein Motorradfahrer an mir vorbei saust. Wir gucken uns an und machen erneut einen Schritt da kommt der nächste und hupt, falls wir uns überlegen sollten noch einen Schritt zu machen. Wir gucken in die Richtung aus der beide gekommen sind, um uns zu vergewissern, dass wir nun weitergehen können, doch nun kommt auch noch der Gegenverkehr. Als alle Motorradfahrer auf einmal stehen bleiben (und nein, sie hören deswegen nicht auf zu hupen) wundern wir uns, ob sie uns gerade vorbeilassen wollen, aber da sehen wir den ca.450kg schweren Grund. Eine Kuh ist soeben angekommen und hat sich anscheinend entschlossen sich mittig-quer auf die „Fahrbahn“ zu stellen. Wir können uns vor lachen eigentlich kaum noch halten und sind der Kuh sehr dankbar, dass sie den Verkehr für uns aufhält.
In den kleineren Seitengassen sind die Lebensmittelverkäufer. Ich bezweifle ernsthaft, dass irgendein Deutscher hier Lebensmittel einkaufen würde. Wir bewundern die verschiedene Gewürze und deren Düfte und werden gefragt wo wir herkommen, jede weitere Kommunikation wird jedoch aufgrund schlechter Englisch-Kenntnisse vereitelt. Es fängt an zu regnen und als ich Richtung Vordach biegen will, sehe ich sie. Eine Kuh hat sich anscheinend durch eine 1,5m breite Gasse gekämpft und sich dann unter ein 2m2 Vordach gelegt. Was ich noch viel spektakulärer finde, ist die Tatsache, dass der Boden vom Vordach erhöht ist und gut 80cm über dem Boden liegt, es aber keine Stufen gibt. Und so gucke ich meine Begleiterin an und frage vollkommen verwirrt: „Wie kommt die Kuh dahin?“

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